Mit jedem neuen Beitrag, den ich für mein Blog schreibe, überlege ich mir, ob ich konsequent und modern „gendere“ oder weiter in der mir gewohnten und jahrzehntelang geübten Weise schreibe. Diese Überlegung habe ich zum Anlass genommen, einmal Stellung zu diesem Thema, das in den letzten Jahren modern geworden ist, zu beziehen.

Worte werden von uns mit *, : oder _ versehen und weibliche Endungen angehängt, was das Zeug hält. Gendern ist für viele heute „state of the art“ – wie es in den 2000er Jahren das Nutzen von Anglizismen war.

Auch Wikipedia hat sich des Themas angenommen und schreibt dazu:

„Gendern oder Gendering (von englisch gender „soziales Geschlecht“: etwa „Vergeschlechtlichung“) ist eine eingedeutschte Wortbildung aus dem angelsächsischen Sprachraum und bezeichnet im allgemeinen Sinne die Berücksichtigung oder Analyse des Geschlechter-Aspekts in Bezug auf eine Grundgesamtheit von Personen, etwa in Wissenschaft, Statistik und Lehre. Beispielsweise werden statistische Daten unterschieden in Angaben zu Frauen und zu Männern (vergleiche Gender-Data-Gap).

Im besonderen Sinne steht das Gendern im Deutschen für einen geschlechterbewussten Sprachgebrauch, der im Interesse der Gleichbehandlung der Geschlechter mit Veränderungen der herkömmlichen schriftlichen und gesprochenen Sprache einhergehen soll. In sozialen Medien wird Gendern oft nur auf den Einsatz von besonderen Zeichen wie dem Gendersternchen bezogen (Nutzer*innen).“

Auszug aus der Gestaltungsrichtlinie der frauengesundheit.life

So weit so gut.

Ursachen des Dilemmas

Aber wie sind Frauen in die Rolle des „schwachen Geschlechts“ gerutscht? Warum werden Männer immer als das „starke Geschlecht“ tituliert? Daran sind unter anderen die Archäologen des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert Schuld – sie sind eine Ursache der Gleichstellungsprobleme, die Frauen bis heute haben.

Long Story short: Die Archäologen der Zeit, durchweg Männer (!), haben die Inhalte der Ausgrabungen aus ihrer eigenen Perspektive, die stark vom Zeitgeist und der kirchlichen (katholischen) Philosophie geprägt war, interpretiert. In ihrer Gedankenwelt kamen Frauen als Clanführerinnen oder Kriegerinnen nicht vor. Die „naturgegebene“ Denkweise jener Zeit wurde auch auf Funde aus grauer Vorzeit angewandt. Also hielten sie reich ausgestattete Grabstellen für Gräber von Herrschern oder Clanchefs.

Heute wissen wir, dass Frauen in der frühen Vorgeschichte bei fast allen Völkern rund um den Globus die gleichen Rechte hatten wie Männer. Kriegerinnen waren genauso selbstverständlich wie Krieger. Auch steinzeitliche Künstlerinnen, reiche Fürstinnen aus der Bronzezeit und Äxte schwingende Wikingerinnen gab es tatsächlich. Das alles konnte aber erst die moderne Archäologie beweisen, die begonnen hat, alte Ausgrabungen mit fortschrittlichen Methoden wissenschaftlich zu untersuchen.

Wer mehr wissen möchten – ich habe für die frauengesundheit.life, das Online-Magazin für Frauen, unter dem Titel Mächtige Männer – Ohnmächtige Frauen? darüber geschrieben.

Es gibt auch andere Ursachen. Ein Beispiel: Für Männer galten die größeren Kopfformen und die Masse des Gehirns als Sinnbild der Überlegenheit des Mannes über die Frau. Angebliche wissenschaftliche Belege dienten der Legitimation. Das heißt, nicht nur der Glaube und die Kirche gaben ihnen recht, sondern auch die Wissenschaft!

Gleichberechtigung der Frauen

Um unsere Gleichberechtigung haben wir Frauen lange kämpfen müssen. Hier ein paar wirkliche Meilensteine auf diesem überaus steinigen Weg:

Frauenwahlrecht

Das Frauenwahlrecht war ein Meilenstein auf dem Weg zur Chancengleichheit von Männern und Frauen. Die Geburtsstunde des Frauenwahlrechts in Deutschland am 12. November 1918 ist der Aufruf an das deutsche Volk vom Rat der Volksbeauftragten, der Frauen das Wahlrecht zuspricht. Am 30. November 1918 trat in Deutschland das Reichswahlgesetz mit dem allgemeinen aktiven (wählen) und passiven (gewählt werden) Wahlrecht für Frauen in Kraft. Damit konnten Frauen am 19. Januar 1919 zum ersten Mal in Deutschland reichsweit wählen und gewählt werden. 1933 verloren Frauen das passive Wahlrecht wieder – bis zum Ende des Dritten Reichs im Jahre 1945.

Am 3. Mai 1957 beschloss der Deutsche Bundestag das „Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts“. Nach langen Beratungen trat das Gesetz am 1. Juli 1958 in Kraft. Dieses Gesetz ermöglichte Frauen, nach und nach selbständiger zu handeln und öffentlich neue Wege zu beschreiten, die für Männer schon immer selbstverständlich waren.

Führerschein

Bertha Benz ist als erste Frau bereits 1888 mit dem von ihrem Gatten entwickelten „Patent-Motorwagen“ gefahren. Weitere Frauen folgten ihr in dieser Epoche. Der 3 Mai 1909 war die Geburtsstunde des Führerscheins – und ein neues Problem für Frauen, denn bis zum 30.06.1958 mussten sie ihre Ehemänner um Erlaubnis fragen, wenn sie den Führerschein machen wollten.

Arbeiten ohne Zustimmung des Ehemannes

Ebenfalls bis Ende Juni 1958 konnte ein Ehemann über das Dienstverhältnis seiner Frau entscheiden – das heißt, es lag bei ihm, ob sie arbeiten durfte. Wenn er seine Meinung änderte, konnte er jederzeit das Arbeitsverhältnis seiner Frau kündigen. Auch das änderte sich erst mit dem Gleichberechtigungsgesetz.

Aber: eine Frau durfte in Westdeutschland auch weiterhin nur dann berufstätig sein, wenn das „mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar (Hausfrauenehe)“ war. Aufgaben im Haushalt und in der Kindererziehung waren also klar der Frau zugeordnet. Erst als die Reform des Ehe- und Familienrechts am 1. Juli 1977 in Kraft trat, wurde die gesetzlich vorgeschriebene Aufgabenteilung in der Ehe aufgehoben. Als Folge entschieden sich mit der Zeit auch immer mehr Frauen, ohne Ehemann und Kinder durchs Leben zu gehen.

Ehescheidung

Mit der Reform des Ehe- und Familienrechts wurde die „Hausfrauenehe“ überwunden und durch das Partnerschaftsprinzip ersetzt. Heute gibt es für die Ehe keine gesetzlichen Vorschriften mehr, die Aufgabenteilung bleibt den Eheleuten überlassen.

Erst seit 1977 wird im Falle einer Scheidung nicht mehr nach Schuld gesucht, sondern es gilt das sogenannte „Zerrüttungsprinzip“. Das heißt, dass der Ehepartner, der nach der Scheidung nicht mehr für sich selbst sorgen kann, Anspruch auf Unterhalt des Ex-Partners hat.

Wahl des Familiennamens

Vor 1976 war die Wahl des Geburtsnamens der Frau als gemeinsamer Ehename in Deutschland gesetzlich nicht möglich. Bei einer Eheschließung übernahm die Frau automatisch der Nachnamen ihres Ehemannes. Ab 1976 konnte aus den beiden Nachnamen ein Doppelname gebildet werden. Erst seit 1991 können Männer bei der Heirat den Namen der Frau annehmen und seit 1994 können beide Ehepartner nach der Heirat ihren jeweiligen Namen behalten.

Und das Gendersternchen? Jetzt wirklich?

Wenn wir uns diese Meilensteine anschauen, welche Priorität haben dann die Bemühungen, mit dem Gendern die (sprachliche) Gleichberechtigung der Geschlechter zu beschleunigen?

Was bringt es für uns Frauen wirklich?

Vielleicht verstärkt es die Wahrnehmung, dass es auch nach über hundert Jahren immer noch die Ungleichbehandlung der Geschlechter gibt, ok.

In mehr und mehr Medien, Fernsehnachrichten und Publikationen wird „gegendert“. In Schrift ist das gut möglich, aber in der Aussprache hört es sich schon komisch an. Auch die Alternative, geschlechtsneutrale Ausdrücke zu verwenden, verändert die uns bisher bekannte Art zu schreiben und sprechen stark.

Aber mal ehrlich, verbessert sich dadurch unser Leben?

Nein! Aus meiner Sicht wird es sich erst verbessern, wenn sich in den Köpfen vieler Männer und Frauen etwas ändert.

Viele Frauen müssen selbstbewusster werden und auftreten, sich mehr zutrauen und aufhören, darüber nachzudenken, was andere Frauen und Männer von ihnen denken. Denn erst, wenn alle Männer die Frauen als gleichberechtigt ansehen und nicht als das Geschlecht, das ihnen unterlegen ist, werden sie aufhören, Frauen Gewalt anzutun.

Eine Gleichbezahlung von Frauen, die die gleiche Tätigkeit ausüben wie ihre männlichen Kollegen, gibt es in den meisten Fällen nur auf dem Papier der Gesetzbücher. Frauen und sogar potenzielle Kanzlerinnen müssen sich immer noch fragen lassen, wie sie Haushalt und Kinder mit der Arbeit vereinbaren wollen. Oder viel schlimmer: ob sie einen Kinderwunsch haben – beide Fragen sind eigentlich NoGos, bei Personalern aber immer noch nicht ausgestorben.

Sportlerinnen müssen Strafe zahlen, wenn sie auf Veranstaltungen nicht länger halbnackt ihrem Sport nachgehen möchten. Bei den Olympischen Spielen in Tokio fielen deutsche Turnerinnen auf, weil sie geschlossen mit langen Trikots ihre Übungen absolvierten – echt jetzt?

Wir müssen uns immer noch gegen blöde Anmachsprüche von den Männern zu Wehr setzen, die meinen, jede hübsch angezogene Frau wäre Freiwild.

Es gibt sicher auch viele Fälle, in denen Frauen andere Frauen diskriminieren – sie als Chefinnen keine Frauen einstellen, weil sie schwanger werden könnten. Selbst abfällige Bemerkungen von Müttern sind nicht unüblich, was das Thema betrifft …

… und das sind nur einige Beispiele.

Gendern ist eine Bewusstseinsfrage, die alle angeht! Sprache ist nur ein Vehikel. Ist also das Gendern ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur wirklichen Gleichbehandlung von Mann und Frau oder nur neumodischer Schnickschnack, der bald wieder verschwindet? Das wird sich verlässlich vielleicht erst in hundert Jahren feststellen lassen …


Mehr Informationen und Ansichten findest Du hier

Quarks TabulaRasa (ARD) setzt sich in Was bringt Gendern wirklich? mit der sprachlichen Seite auseinander.

Mai Thi Nguyen-Kim erklärt die Hintergründe des Genderns maiLab – Sollte man gendern

Die 15 wichtigsten Meilensteine in der Gleichberechtigung werden vom Jugendnetzwerk Konz e.V. (Junetko) aufgezeigt.

Last but not least: Wikipedia erklärt gendern ausführlich.