Ich habe über 30 Jahre lang in Festanstellungen gearbeitet. Keine klassischen nine-to-five Jobs, sondern gleitende Arbeitszeit oder Vertrauensarbeitszeit. Das hörte sich anfangs gut an, führte aber dazu, dass ich am Ende des Arbeitstages immer das Gefühl hatte, nicht lange genug gearbeitet zu haben.

Mein Arbeitsweg betrug in den meisten dieser Jahre 50 km und mehr – eine Strecke versteht sich. Da ich immer über die A40 (auch Ruhrschleichweg genannt) fahren musste – nein, ÖPNV war keine Alternative, da ich auf dem Land wohnte – musste ich mir angewöhnen, um 5:00 Uhr aufzustehen. Nur so konnte ich halbwegs sicher zwischen 7:00 und 8:00 Uhr am Schreibtisch sitzen. Oft wurde es viel später, weil die Staus auf den Autobahnen immer länger wurden. Mein Körper hat sich irgendwie an diesen Morgenstress gewöhnt, ich wurde gezwungenermaßen zum Morgenmenschen.

Funktioniert Kreativität mit Routine?

Mein Arbeitsalltag forderte immer meine kreative Seite. Nur geht Kreativität nicht auf Knopfdruck oder nach Zeitplan. Kreativität erfordert Inspiration, Ideen und bei mir auch die richtige Stimmung. Das führte immer wieder zu Verzögerungen im Arbeitsablauf. Ich war nicht immer inspiriert oder in kreativer Stimmung, sondern oft einfach müde und abgespannt.

Jetzt bin ich seit fast 8 Jahren selbständig – kann mir meine Arbeitszeit relativ frei einteilen. Am Anfang habe ich einfach mit der jahrzehntelang geübten Routine weitergemacht. Dem jetzt noch größeren Anteil an kreativen Arbeiten hat das wie früher nicht gutgetan. Dann habe ich endlich gewagt, diese 35 Jahre andauernde Stresssituation für meinen Körper loszulassen. Dem guten, alten Wecker habe ich die Batterie geklaut – und sie gut versteckt.

Meine neue Routine

Heute überlasse ich meinem Körper, wann er wach und müde wird. Ich folge meinem eigenen Rhythmus. Im Sommer genieße ich es, meinen ersten Kaffee auf dem Balkon in der Sonne zu genießen – mal schon um 6:00, oft aber auch erst um 9:00. Im Winter stehe ich erst auf, wenn es draußen hell wird – beginne den Tag langsamer, bedächtiger und lasse meinen Körper bestimmen, wie viel Zeit er morgens braucht.

Auch der Arbeitsalltag hat sich verändert. Wann immer ich es in der Hand habe, lege ich Termine/Calls/… auf den späten Vormittag oder in den Nachmittag. Ich erlaube mir, Arbeiten zu machen, wenn ich wach und motiviert bin – dann bin ich schneller fertig und das Ergebnis wird einfach besser. Oft habe ich spät abends die besten Ideen, schreibe die besten Texte in der Nacht, wenn es um mich herum völlig ruhig ist. An anderen Tagen lege ich mich schon um 20:00 Uhr schlafen und schlafe statt der üblichen sieben bis acht dann gerne mal zehn Stunden. Ganz wie mein Körper es braucht.

Mir ist bewusst, dass es ein Privileg und vielleicht auch eine Freiheit der Selbständigkeit ist, mir meine Arbeit nach meinem Biorhythmus einteilen zu können. Ich habe in den letzten Jahren festgestellt, dass die Leistung für meine Kunden dadurch gewonnen hat, auch effektiver geworden ist. Ich arbeite einfach mit viel mehr Elan, Motivation, Kreativität und Freude an neuen Aufgaben und Projekten. Auch meine Arbeit in verschiedenen Teams funktioniert reibungsloser, weil ich entspannter bin.

Was sagt die Wissenschaft dazu?

Wikipedia schreibt: „Biorhythmus ist in der Mantik eine unbelegte Hypothese, die besagt, dass die physische und die intellektuelle Leistungsfähigkeit sowie der Gemütszustand des Menschen bestimmten Rhythmen unterworfen sind, die bei allen Menschen gleich sind und mit dem Tag der Geburt beginnen.“

Demnach gibt es drei Kurven, die schon bei der Geburt beginnen und sich durch ihre Längen unterscheiden. Es gibt den körperlichen Rhythmus (23 Tage), den emotionalen Rhythmus (28 Tage) und den geistigen Rhythmus (33 Tage). Ich weiß nicht, ob man für jeden Menschen diese Rhythmen so genau berechnen kann und sollte.

Aus meiner Sicht kann das so sein – aber merke ich das überhaupt? Ist nicht heute fast jeder in seiner Routine gefangen, die von den Lebensumständen diktiert wird – Arbeit, Verpflichtungen, Freizeitaktivitäten, Familie? Sind wir in der Lage, auf unsere „innerer Uhr“ zu hören oder zwingen wir uns, einem anderen Rhythmus zu folgen? Geht das auf Dauer gut oder leiden wir, leidet unser Leben unter dem aufgezwungenen Tagesablauf?

Ich habe im GEO-Magazin den Artikel “Die unerbittliche innere Uhr” gefunden, der genau diesen Fragen nachgeht.

Fazit

Wenn ich den GEO-Artikel lese, wird mir einmal mehr bewusst, dass die Freiheit, der ich als Selbständige folgen kann, wirklich eine Ausnahme ist. Auch wenn sie immer mit kleinen Einschränkungen verbunden ist, die ich aber gerne in Kauf nehme. Nach 35 Jahren arbeiten nach der Uhr, weiß ich einfach meine gewonnene Unabhängigkeit und den offenen Rahmen, in dem ich arbeiten kann, zu schätzen.

Es gibt Tage, da fließt die Kreativität, weil sie es darf und nicht durch den Zwang, an einem bestimmten Tag eine bestimmte Aufgabe abarbeiten zu müssen, ausgebremst wird. An anderen Tagen schläft sie und dann ist Zeit, Arbeiten zu erledigen, die keine besondere Kreativität benötigen. Also mache ich jeden Tag Feierabend und habe etwas geschafft, durfte kreativ sein und hatte die Zeit, andere Aufgaben anzugehen.

Die Freiheit, die Zeit so frei einteilen und so frei arbeiten zu dürfen, genieße ich sehr. Wie sieht das bei Dir aus? Stechuhr, Vertrauensarbeitszeit, Selbstbestimmung oder absolute Freiheit? Wie lebst und arbeitest Du?